SCHIFFSRADAR MIT ELEKTRONISCH GESTEUERTER ANTENNENGRUPPE
Seit Jahrzehnten gehören Radargeräte mit rotierender Balkenantenne zur maritimen Standardausrüstung und prägen das typische Erscheinungsbild von Schiffen. Diese Technik ist weit verbreitet, ausgereift und preisgünstig. Änderungen der gesetzlichen Vorschriften und aktuelle Entwicklungen des Fraunhofer FHR könnten jedoch dazu beitragen, dass in diesem Bereich eine Trendwende stattfindet und eine neue Generation von Geräten Einzug hält, die längere Wartungsintervalle, verbesserte Fähigkeiten und erhöhte Sicherheit bietet.
Radargeräte leisten für die Sicherheit im Schiffsverkehr und beim Gütertransport auf dem Seeweg einen wichtigen Beitrag. Sie unterstützen die Besatzung bei der Navigation und warnen vor Kollisionen mit Hindernissen bei dichtem Verkehr oder schwierigem Fahrwasser. Aufgrund der Verwendung von Mikrowellen arbeiten sie auch nachts oder bei schlechter Sicht. Durch die ständig zunehmende Anzahl von Transporten und Schiffen sind die Anforderungen an die Radarsysteme jedoch erheblich gestiegen. Die höhere Verkehrsdichte erfordert in bestimmten Situationen eine bessere Auflösung, vor allem im Nahbereich. Die heute im Einsatz befindlichen Navigations- und Überwachungssysteme arbeiten jedoch größtenteils mit einer veralteten Hochfrequenztechnologie: Sie verwenden mechanisch rotierende Antennen und eine Signalerzeugung auf Basis von Magnetron-Röhren, die den Einsatz kohärenter Signalverarbeitungsverfahren nicht zulassen.
Durch zwei aktuelle Entwicklungen deutet sich nun eine Trendwende an: Eine Anpassung der Vorschriften für maritime Navigation erlaubt den Betrieb von Radaranlagen mit abgesenkter Sendeleistung im S-Band. Dadurch wird es in Zukunft möglich, Halbleiterverstärker und kohärente Signalverarbeitungsverfahren einzusetzen. Ideal ist der Einsatz von Gruppenantennen (Arrays) mit elektronischer Strahlschwenkung, welche die mechanisch rotierende Balkenantenne ersetzt. Die hohen Kosten elektronischer Bauteile machten bisher eine Nutzung von Array-Systemen im zivilen Bereich unwirtschaftlich. Durch die fortschreitende technologische Entwicklung und die zunehmende Integration von Komponenten in Anwendungsspezifischen Integrierten Schaltungen (ASICs) wird nun jedoch eine kostengünstigere Herstellung der Sende-Empfangs-Module möglich. Das Prinzip der phasengesteuerten Gruppenantennen wird somit für zivile Radaranwendungen attraktiv. Mit kohärenter Signalverarbeitung und hochagiler elektronischer Strahlschwenkung können deutlich mehr und kleinere Objekte bei hoher Genauigkeit erkannt und verfolgt werden. Diese Fähigkeit erschließt neben den üblichen Navigationsaufgaben weitere Anwendungsfelder, z.B. die Überwachung von Hafenanlagen, Küsten- und Flussabschnitten, die Suche nach Schiffbrüchigen oder die Warnung vor schwer erkennbaren, treibenden Hindernissen wie Eisbergen oder verlorengegangenen Containern. Da aktive Gruppenantennen, neben der mechanisch vereinfachten Installation, auch mit einer gewissen Anzahl von defekten Antennenelementen weiterhin funktionstüchtig bleiben (graceful degradation) und zudem die altbewährte Magnetron-Röhre durch eine verteilte Leistungserzeugung ersetzt wird, ist im Vergleich zu den konventionellen Systemen mit einem deutlich geringerem Wartungsbedarf zu rechnen.
Eine besondere Gefahr für die zivile Schifffahrt ergibt sich vor dem Hintergrund der aktuellen und ständig steigenden Bedrohung durch Piraten in vielen Gewässern der Erde. In den bedrohten Regionen haben die Piraten leichtes Spiel: Mit kleinen, wendigen Schnellbooten nähern sie sich den unbewaffneten Frachtschiffen, entern diese und bringen sie unter Einsatz von Waffen in ihre Gewalt. Das International Maritime Bureau (IMB) verzeichnet in seinem Bericht für das Jahr 2015 mit 246 weltweit gemeldeten Vorfällen von Piraterie die bisher höchste Zahl. Die Folgen sind neben hohen Kosten für die betroffenen Reedereien und Versicherungen eine ständig wachsende Gefahr für Leib und Leben der Besatzungen. Hier könnte eine neue Klasse von Radarsystemen helfen, die eine erhöhte Auflösung und Genauigkeit besitzen, um auch kleine Objekte (z.B. Schlauchboote) rechtzeitig erkennen zu können. Durch die verlängerte Vorwarnzeit würden Hilfs- und Rettungsmaßnahmen möglich, wie z.B. ein frühzeitiges Abdrehen, um Zeit zu gewinnen, oder die Entsendung eines Hubschraubers von patrouillierenden Kriegsschiffen aus. Der Einsatz des Radarsystems ist auch denkbar, um nicht-letale Wirkmittel wie Wasserwerfer oder Schalldruck-Kanonen besser steuern und genauer positionieren zu können.
Im Auftrag eines in Deutschland ansässigen Unternehmens wurde eine Studie durchgeführt, in der ein neues Konzept für ein Schiffsradarsystem zu akzeptablen Herstellungskosten vorgestellt wird. Dies gab den Anstoß, im Fraunhofer FHR einen Demonstrator für das neue Konzept aufzubauen und zu erproben. Einen nicht unerheblichen Teil bei der Umsetzung der Studie leistet das Institut für integrierte Analogschaltungen (IAS) der RWTH Aachen, welches für die Entwicklung hochintegrierter Mixed-Signal-Schaltungen auf Basis von Silizium-Germanium (SiGe) verantwortlich war, welche in den Sende-/Empfangsmodulen der aktiven Antenne eingesetzt werden. Weitere Innovationen in diesem Projekt sind ein serielles Speisenetzwerk, welches ohne spezielle Maßnahmen zur Entkopplung der Antennenelemente auskommt, eine spezielle Kalibrierstrategie für das Front-End und nicht zuletzt die Modularität des Gesamtsystems, welche eine Installation einer einzelnen Antenne an einer Position mit Rundumsicht überflüssig macht.
Wesentliche Bestandteile des Radardemonstrators wurden bereits aufgebaut und erfolgreich getestet. In naher Zukunft sollen Teile des Systems unter realen Bedingungen erprobt und die Leistungsfähigkeit des Array-Konzepts unter Beweis gestellt werden. Bis ein elektronisches Radar jedoch auf Schiffen eingesetzt werden kann, sind noch viele Arbeitsschritte erforderlich und einige Detailaufgaben zu lösen.