Begleitung des Wiedereintritts der chinesischen Raumstation Tiangong-1 mit TIRA
Unter großer medialer Beachtung ist Ostern 2018 die chinesische Raumstation Tiangong-1 in die Erdatmosphäre eingetreten und abgestürzt. Das Fraunhofer FHR hat dabei das nationale Weltraumlagezentrum und die ESA mit aktuellen, hochgenauen Bahnparametern und Daten zum Rotationsverhalten unterstützt.
Die ehemals bemannte chinesische Raumstation Tiangong-1 wurde 2011 in eine Umlaufbahn von ca. 360 km Höhe gebracht. Seit Frühjahr 2016 galt sie als unkontrolliert und es wurden seither auch keine Bahnkorrekturen mehr vorgenommen. Schließlich, am 1. April 2018, ist Tiangong-1 zu einem großen Teil in der Erdatmosphäre verglüht und möglicherweise sind einzelne verbliebende Fragmente in den Pazifischen Ozean gestürzt. Wo ein Weltraumobjekt auf die Erde abstürzen wird, lässt sich nach heutigem Stand der Forschung nur mit großer Unsicherheit vorhersagen. Niedrige Umlaufbahnen von Satelliten unterliegen stark wechselnden äußeren Einflüssen. Die Erdatmosphäre, die auch in diesen Höhen noch vorhanden ist, wenn auch sehr viel geringer als in Bodennähe, bremst das Objekt langsam ab. Das Abbremsen verursacht eine Absenkung der Umlaufbahn. Wegen der dichteren Atmosphäre in niedrigeren Höhen nimmt die abbremsende Kraft immer mehr zu, so dass sich das Absinken mit abnehmender Höhe beschleunigt.
Das Fraunhofer FHR unterstützt regelmäßig Behörden und internationale Organisationen im Vorfeld und schließlich bis zum Wiedereintritt mit aktuellen Daten. Mit dem Hochleistungsradar TIRA werden die Bahndaten hochpräzise erfasst und die Objekte zusätzlich mittels ISAR Verfahren abgebildet. Im Fall von Tiangong-1 arbeitete das Fraunhofer FHR mit dem Weltraumlagezentrum der Bundeswehr und der ESA zusammen. Zusätzlich führte das Fraunhofer FHR zu Forschungszwecken eigene Beobachtungen durch.
Zu Beginn der Wiedereintrittsphase sind die Störeinflüsse, wie die der Erdatmosphäre, verhältnismäßig gering. Durch das Eindringen in dichtere Atmosphärenschichten nehmen sie erheblich zu und die Beobachtungsabstände müssen für eine gute Prognose des Wiedereintrittszeitpunkts entsprechend verkürzt werden. Kurz vor dem Wiedereintritt wird dann jeder Überflug verfolgt. So auch im Fall Tiangong-1 als Ostersonntag um 9:49 Uhr Lokalzeit die letzte sichtbare Passage von TIRA erfasst werden konnte.
Die errechneten Bahnparameter und aktuellen Prognosen wurden zeitnah dem Weltraumlagezentrum übermittelt, welches die Daten in eigene Wiedereintrittsvorhersagen einfließen lassen konnte. Das Fraunhofer FHR bestimmte im Rahmen der Kampagne hierfür Bahndatensätze und überprüfte außerdem mithilfe von Radarbildern regelmäßig den Zustand von Tiangong-1. Solche Radarbilder von Weltraumobjekten finden derzeit einzig durch das Fraunhofer FHR Eingang in die Öffentlichkeit; so haben die veröffentlichten Radarbilder von Tiangong-1 weltweit Beachtung gefunden.
Zusätzlich wurde mit TIRA das erste Mal systematisch das Rotationsverhalten eines Weltraumobjekts während des Wiedereintritts untersucht. Durch eine mögliche Rotation kann sich die angeströmte Querschnittsfläche mit der Zeit ändern, was Auswirkungen auf den Wiedereintrittszeitpunkt haben kann. Nur mittels bildgebenden Radarverfahren ist die Erfassung des vollständigen Rotationsvektors, d. h. der Rotationsachse sowie der Rotationsgeschwindigkeit, und seiner Lage im Raum möglich. In einem iterativen Prozess wird der Rotationsvektor mittels der Bildserie, die während einer Passage erstellt wird, berechnet. Durch Anpassung eines 3D-Modells des Objekts an eine solche Bildserie lässt sich anschließend der Rotationsvektor für jede Beobachtung bestimmen. Abbildung 1 zeigt ein Radarbild mit transparent überlagertem 3D-Modell. So können zum einen die Radarbilder korrekt skaliert werden und zum anderen der ermittelte Rotationsvektor genutzt werden, um das Eigendrehverhalten von Wiedereintrittsobjekten zu untersuchen. Im Fall von Tiangong-1, der über ein Jahr lang vom Fraunhofer FHR beobachtet wurde, konnten für 24 Beobachtungen die entsprechenden Rotationsvektoren berechnet werden. In Abb. 2 ist die Rotationsgeschwindigkeit abhängig von der Höhe der Umlaufbahn dargestellt. Mit abnehmender Bahnhöhe zeigt sich eine deutliche Zunahme der Rotationsgeschwindigkeit, insbesondere gegen Ende der Wiedereintrittsphase. Abb. 3 zeigt die jeweilige Lage der Rotationsachsen bezogen auf das Objektkoordinatensystem. Die Rotationsachsen stehen während eines Großteils der Wiedereintrittsphase senkrecht auf der Solarpanelebene.
Im nächsten Schritt soll untersucht werden, in wieweit durch Einbeziehung dieser Informationen über die Ausrichtung und das Eigenrotationsverhalten von wiedereintretenden Objekten die Wiedereintrittsprognose künftig verbessert werden könnte