Vermessung der kleinteiligen Weltraumtrümmerpopulation mit TIRA
Kleine Objekte von wenigen Zentimetern können Satelliten beschädigen oder sogar komplett zerstören. Das Weltraumbeobachtungsradar TIRA vermisst regelmäßig diese kleinteilige Raumfahrttrümmerpopulation. Die aus den Radardaten gewonnenen Ergebnisse werden verwendet, um Modelle der Weltraummüllumgebung zu kalibrieren und zu validieren.
Seit dem Start der Erkundung des Weltraums im Jahr 1957 hat die Anzahl der Raumfahrttrümmer exponentiell zugenommen. Trümmer von Kollisionen und Explosionen, Bruchteile von Raketen, ausgediente Satelliten und weitere Raumfahrtrückstände umkreisen die Erde und gefährden die aktiven Raumfahrtsysteme. Dabei kann ein Aufprall mit einem 1 cm großen Objekt schon für einen aktiven Satelliten letal sein, aufgrund der möglichen hohen Relativgeschwindigkeit zwischen den Weltraumobjekten.
Derzeit können Objekte größer als ca. 10 cm von der Erde aus mittels Radaren und Teleskopen detektiert, nachverfolgt und katalogisiert werden. Allerdings sind kleinere Objekte und Objekte, die auf hochelliptischen Bahnen die Erde umkreisen, viel schwieriger zu detektieren und nachzuverfolgen. Diese Objekte können derzeit nicht katalogisiert werden, d. h. es ist nicht bekannt, wo diese Objekte, die potentiell hochgradig gefährlich für aktive Satelliten sind, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt im Weltraum aufhalten. Aus diesem Grund ist es äußerst wichtig zumindest zu wissen, wie diese Objekte im Weltraum verteilt sind.
Das Weltraumbeobachtungsradar TIRA ist seit seiner Errichtung das führende System in Europa zur Erfassung und Aufklärung von Weltraumobjekten. Aufgrund seiner äußerst hohen Empfindlichkeit kann TIRA das schwache Rückstreusignal kleinster Raumfahrttrümmer messen. Somit können 2 cm kleine Objekte auf einer Entfernung von 1.000 km entdeckt werden. Diese hohe Empfindlichkeit wird u. a. durch den großen Gewinn der hochdynamischen 34-Meter-Antenne (Abb. 1) erreicht.
Aufgrund dieser Fähigkeit nimmt das Fraunhofer FHR mit TIRA seit 1993 an regelmäßigen internationalen Messkampagnen teil (die so genannten »Beampark-Experimente“ (BPE)), um die kleinteilige Raumfahrttrümmerpopulation zu vermessen und deren statistische Verteilung zu erfassen. Diese Messkampagnen werden vom IADC (Inter-Agency Space Debris Coordination Committee) koordiniert und finden etwa alle zwei Jahre statt. Dabei ist es besonders wichtig, dass solche Messkampagnen regelmäßig stattfinden, um die Änderungen der kleinteiligen Raumfahrttrümmerpopulation zu überwachen. Die Weltraumpopulation in niedrigen Umlaufbahnen (LEO, Low Earth Orbit) ist nämlich besonders dynamisch: Trümmerstücke entstehen durch Explosionen und Kollisionen, neue Satelliten und Raumfahrtrückstände (z. B. Raketenoberstufen) treten in den Weltraum ein, und Objekte verschwinden aus dem Weltraum durch atmosphärischen Widerstand und Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Die Ergebnisse aus diesen stichprobenartigen Beobachtungen liefern wichtige Stützstellen für Weltraummüllumgebungsmodelle wie das MASTER-Modell (Meteoroid and Space-Debris Terrestrial Environment Reference) der ESA und ermöglichen, diese Modelle zu kalibrieren und zu validieren.
Bei einem BPE wird die Antenne eines teilnehmenden Radarsensors fest in eine ausgewählte Blickrichtung gestellt (oder »geparkt«) und es werden Radardaten für 24 Stunden aufgezeichnet. Nach 24 Stunden hat die Erddrehung dafür gesorgt, dass das Radar ein geschlossenes Volumen beobachtet hat. Abhängig von der eingestellten Blickrichtung der Antenne können unterschiedliche Bahnregionen erfasst werden. Beispielsweise wird die Antenne für ein East-Staring BPE Richtung Osten ausgerichtet. Bei einem South-Staring BPE schaut die Antenne nach Süden mit einem niedrigen Elevationswinkel. Bei einer solchen Geometrie kann die Trümmerpopulation auf Bahnen mit niedriger Inklination untersucht werden. Aus den Radardaten können viele wichtige Informationen über die detektierten Objekte abgeleitet werden. So ist es möglich die Größe von Objekten aus dem Radarrückstreuquerschnitt zu schätzen. Auch können Bahnhöhe und Bahninklination unter der Annahme einer Kreisbahn abgeschätzt werden.
Zum ersten Mal wurde ein South-Staring BPE im Dezember 2015 durchgeführt. Weitere an dieser IADC-Messkampagne teilnehmende Sensoren waren drei amerikanische Radare: das HUSIR Radar (Haystack Ultrawideband Satellite Imaging Radar), das Cobra Dane Radar und das Goldstone Radar. Ein gemeinsamer Bericht über die erfassten Weltraumteilchen und deren Verteilung über die geschätzten Bahnparameter wurde verfasst, welcher derzeit zur Kalibrierung und Validierung von Modellen der Weltraummüllumgebung ausgewertet wird. Abbildungen 2 und 3 zeigen Ergebnisse, die mit TIRA gewonnen wurden. In Abbildung 2 ist die Detektionsrate über der Bahnhöhe der detektierten Weltraumteilchen aufgetragen. Abbildung 3 zeigt deren geschätzte Größe über der Entfernung. Dieses Projekt wurde durch ESA/ESOC gefördert.