Weltraum

Die Suche der Nadel im Heuhaufen

Zeitlicher Verlauf der ersten Messung, die Detektionen sind markiert: Der höchste Peak ist vier Minuten nach dem erwarteten Kontakt zu sehen. Rechts oben: Eine Raketenoberstufe wirft die Schutzhüllen – die Payload Fairing – ab.
ISAR-Radarbild der zweiten Messung: Das Objekt war mehrere Meter groß, die runde Form eines Halbzylinders ist gut erkennbar.

Was geschah, als eine Zylinderhälfte im Orbit fragmentierte – ist das Objekt komplett zerstört worden? Eine ungewöhnliche Aufgabenstellung, die das Zielverfolgungs- und Abbildungsradar TIRA gut meistern konnte.  


Der Mensch hat seine Spuren hinterlassen im Orbit: Das Ausmaß des Weltraumschrotts nimmt stetig zu. Explosionen von Raketenoberstufen, Satellitenabschüsse und unkontrollierte Zusammenstöße von Weltraumschrott erhöhen die Anzahl der umherschwirrenden Teilchen um ein Weiteres. So auch am 3. Juli 2022: Um kurz vor sechs Uhr MEZ fragmentierte die Zylinderhälfte einer Hülle, die die Nutzlast beim Raketenstart vor äußeren Einflüssen schützt und die vor dem Aussetzen des Satelliten abgesprengt wird – die H-2A Payload Fairing (43674). Im Anschluss ihrer Fragmentierung stellten sich zahlreiche Fragen: Gibt es weitere Trümmerteile, die im Umfeld des ursprünglichen Objekts durch den Orbit driften? Ist noch etwas vom Ursprungsobjekt übrig oder ist es komplett zerstört worden? 

 

Mit zwei verschiedenen Radar-Einstellungen zum Ziel


Das Weltraumkommando der Bundeswehr mit dem ressortgemeinsamen Weltraumlagezentrum beauftragte das Fraunhofer FHR diese Fragen zu beantworten, und zwar mit TIRA. Eine eher ungewöhnliche Aufgabenstellung für TIRA und das betreuende Team, weil das System nicht dafür ausgelegt ist, große Teile des Himmels abzusuchen. Der Ausgang war ungewiss. Um ihr zu begegnen, kamen zwei verschiedene Einstellungen des Radars zum Einsatz. Zunächst einmal der »Staring Mode«:  Dabei wird die Antenne auf einen bestimmten Teil des Himmels ausgerichtet und nur bewegt, um die Erdrotation auszugleichen. Frühere Daten lieferten Hinweise darauf, welcher Ausschnitt anvisiert und wann die Trümmerteile diesen beobachteten Ausschnitt passieren müssten. Um sicherzugehen, das Vorbeiziehen der Teile nicht zu verpassen, starteten die Mitarbeitenden die Beobachtung mit dem Zielverfolgungsradar bereits einige Minuten vor dem erwarteten Zeitpunkt und beendeten sie erst weitere 18 Minuten später. Insgesamt erhielten sie dabei 50 Detektionen – ein besonders starkes Echo trat vier Minuten nach dem erwarteten Kontakt auf.  


Um diese starke Detektion genauer einzuordnen, nahmen die Mitarbeitenden in einer zweiten Messung mit TIRA die »Verfolgung« auf: Statt wie zuvor auf einen konstanten Himmelsausschnitt zu schauen, trackten sie das Objekt und bildeten es zudem mit dem Zielabbildungsradar ab. Doch wie findet man das Objekt wieder? Da das Echo vier Minuten nach dem erwarteten Kontakt auftrat, errechnete das Team: Das Objekt verzögert sich pro Tag um 25 Sekunden. Auf diese Weise extrapolierten die Forschenden sein erneutes Auftauchen und konnten es wiederfinden. Das Ergebnis: Das Objekt rotiert sehr schnell, mit etwa 20 Grad pro Sekunde. Auch wies es eine ähnliche Geometrie auf wie die Zylinderhälfte des Payload Fairings. Die Forschenden konnten das Objekt in der Trümmerwolke erfolgreich identifizieren – also die Nadel im Heuhaufen finden.