Multifunktionale Hochfrequenz- und Radarsysteme (MFR)

Wie breiten sich Radarwellen über dem Meer aus?

© Fraunhofer FHR
Vertikalschnitt der simulierten Feldstärkeverteilung auf der Basis von gemessenen Refraktionsdaten.
© Fraunhofer FHR
Horizontalschnitt (h = 50 m) der simulierten Feldstärkeverteilung auf der Basis von gemessenen Refraktionsdaten.
© Fraunhofer FHR / Brian Burnell / Department of Defense
Schematische Darstellung der Problematik »Ausbreitung über See«

Über warmen Meeren bilden sich vielfach Schichten aus Wasserdampf, die die Ausbreitung von Radarstrahlen beeinflussen. Eine neuartige Modellierung ermöglicht es erstmals, die Ausbreitung in drei Dimensionen zu ermitteln.


Nähern sich Schiffe, Flugzeuge oder Raketen? Um diese Frage zu beantworten, setzt man sowohl in der zivilen als auch in der militärischen Schiff- und Luftfahrt auf Radarsysteme. Die Frequenzen der ausgesandten Radarwellen liegen üblicherweise zwischen einem und zehn Gigahertz: In diesem Bereich breiten sich die elektromagnetischen Radarwellen ähnlich wie Lichtstrahlen entlang gerader Linien aus. Meistens, sollte man hinzufügen: Denn in Abhängigkeit von der Wasser- und der Lufttemperatur und insbesondere über warmen Meeren wie dem Roten oder dem Südchinesischen Meer bilden sich häufig dichte Schichten aus Wasserdampf über der Wasseroberfläche, die nah am Wasser verlaufende Radarwellen zum Meer hin brechen. Das hat verschiedene Auswirkungen. Im einfachsten Fall entstehen Überreichweiten – man sieht also ähnlich wie bei Luftspiegelungen Dinge, die hinter dem Horizont liegen. Was zunächst wie ein Vorteil klingt, kann durchaus negative Effekte haben, speziell, wenn einem diese Überreichweite nicht bewusst ist. In extremeren Fällen werden die Radarstrahlen durch Refraktion in der Atmosphäre zurück zur Wasseroberfläche geleitet, dort reflektiert – mitunter wiederholt sich dieser Prozess mehrfach. In ähnlicher Weise können sich solche wellenleitenden Schichten auch in einer gewissen Höhe über dem Meer ausbilden. Die Folge eines solchen »Elevated Ducts« Seaskimmer – Seeziel-Flugkörper, die dicht über der Meeresoberfläche fliegen – können sich über oder unter diesen Luftspiegelungen »verstecken«, sie sind mit den Radarstrahlen also kaum zu orten. So geschehen beim russischen Lenkwaffenkreuzer »Moskwa«, der durch zwei solcher Waffensysteme der Ukraine versenkt wurde. Auch kleinere Piratenboote können sich in diesen Bereichen vor dem Radar verbergen.


Simulation der Radar-Sichtbarkeit in drei Dimensionen


Die Bundesmarine hat daher ein starkes Interesse daran, die Radar-Sichtbarkeit von Flugkörpern oder Booten zu simulieren und besser zu verstehen – optimalerweise im Hinblick auf die jeweiligen Wetterverhältnisse in den tropischen Meeren. Zwar gibt es bereits Verfahren, um die Radarausbreitung über See zu berechnen: Die »parabolic equation method« PEM ist ein weit verbreitetes Berechnungsverfahren. Doch lassen sich die Radarwellen damit nur in Ausbreitungsrichtung berechnen – genauer gesagt in den zwei Dimensionen Ausbreitungsrichtung und Höhe.


Forschende des Fraunhofer FHR ersetzen dieses äußerst rudimentäre Bild nun durch eine dreidimensionale Modellierung, in die ebenso wie in die PEM externe Wetterdaten einfließen. Um zu modellieren, wie sich Radarwellen in der inhomogenen Umgebung ausbreiten, nutzen die Forschenden die »Plane Wave Approximation«: Sie zerlegen die Radarwellen, die von der Antenne ausgesendet werden, in ebene Wellen, und betrachten diese mit der Fourier-Optik. Das Ergebnis: Dreidimensionale Feldverteilungen, die erstmalig anzeigen, wie sich die Radarwellen bei bestimmten Wetterverhältnissen im dreidimensionalen Raum ausbreiten – und die deutlich mehr Aufschluss über die Physik der Ausbreitung über dem Meer geben als bisherige 2D-Ansätze. So können aus den Daten neben den Vertikalschnitten, die aus der PEM bekannt sind, auch Horizontalschnitte oder Querschnitte der Feldverteilung ausgewertet werden. Die erhaltenen Abbildungen sind von Streifen geprägt: Diese entstehen, indem sich die an der Wasseroberfläche reflektierten Radarwellen mit den direkten Strahlen konstruktiv bzw. destruktiv überlagern (Interferenz). Besonders relevant sind Bereiche, die nicht von den Radarwellen ausgeleuchtet werden – dort ist das Radar quasi »blind«.


Ausblick: Herausforderung Wellen


Der entwickelte Modellierungs-Algorithmus bildet auch die Basis, um die Auswirkung von Wasserwellen auf die Reflexion von Radarsignalen zu untersuchen und zu verstehen. Denn neben der Dünung, die durch hunderte Kilometer weit entfernte Stürme entstehen kann, gibt es Capillary Waves, Wellenstrukturen im Zentimeterbereich. Die Wellen können also ebenso ein bis zwei Größenordnungen kleiner sein als die Radarwellen als auch zwei bis drei Größenordnungen größer. Mit den Modellierungen lässt sich berechnen, wie sich die Wasserwellen auf die Reflexion und Ausbreitung der Radarwellen über See auswirken – ebenso an Übergängen zu Inseln oder zum Land, bei denen die Atmosphärenübergänge noch einmal weitaus komplexer sind als über dem Wasser. Die Herausforderung liegt vor allem im hohen Rechenaufwand, der für statistisch belastbare Aussagen nötig ist: Hier könnte der Einsatz von modernen Grafikkarten mit hoher Rechenleistung helfen.